Der kleine Bär warf wütend seinen Ranzen in die Ecke. Dicke Tränen liefen ihm übers Gesicht. Sie hatten ihm aufgelauert. Einen Kreis um ihn gebildet, und ihn dann zusammengeschlagen. Warum immer ich, dachte er. Was mache ich bloß falsch.
Ja, er hatte gepetzt. Aber der kleine Bär hatte sich so furchtbar geärgert über die Typen, die das Schulklo komplett verwüstet hatten. Das Schulklo war sowieso ein Graus, aber nach der Aktion vorgestern konnte man es sich wirklich nur noch verkneifen.
Was der kleine Bär am allerwenigsten verstand, woher die Rowdys gewusst hatten, dass er es gewesen war, der es dem Lehrer gesagt hatte. Mochte der Lehrer die Rowdys etwa? Wollte der Lehrer, dass der kleine Bär eine Abreibung bekommt?
Was ist richtig, was ist falsch? Wie soll man das nur wissen, dachte der kleine Bär.
Wie so oft, wenn ihm die anderen Bären zuviel wurden, stieg der kleine Bär auf sein Fahrrad und fuhr in den Wald. Die Vögel grübelten über nichts, sie sangen einfach. Die Blumen blühten, der Wind seufzte in den Zweigen, und das Wasser gluckerte im Teich.
Zu diesem Teich fuhr er nun. Stundenlang konnte er dort sitzen und der Natur beim Werden zusehen. Dort würde er sein blaues Auge vergessen können.
„Quak“, sagte die Kröte. Der kleine Bär schrak aus seinen Träumereien auf. Die Kröte war grün mit rosa Flecken. Und sie hatte einen blauen Bauch. So eine hatte der kleine Bär noch nie gesehen. „Grüß dich“, antwortete er.
Die Kröte setzte sich neben den kleinen Bären. „Na, so traurig heute? Hab dich schon ein paarmal gesehen hier, aber so miesepetrig bist du doch sonst nicht?“ Der kleine Bär seufzte. „Ich mache alles verkehrt“, sagte er. „Und das Schlimmste ist, ich weiß einfach nicht, wie man das herausfinden kann, was richtig ist und was falsch.“
Mit einem blitzartigem Hervorschnellen ihrer Zunge fing die Kröte eine dicke Fliege und verspeiste sie genüsslich. „Tja, das ist nun einmal das Kreuz mit der Freiheit. Ein Roboter macht nie was falsch. Wenn der was Übles anrichtet, ist er trotzdem nur seiner Programmierung gefolgt. Aber der Roboter macht deshalb auch nie etwas richtig.“
Der kleine Bär ertappte sich dabei, dass er eigentlich ganz gerne ein Roboter wäre. Dann müsste er nicht mehr grübeln.
„Schau“, sagte die Kröte. „Manchmal begegnest du Jesus, und manchmal dem Teufel. Meinst du, dass du beiden das Gleiche sagen musst?“ Der kleine Bär dachte nach. „Also, Jesus sag ich Ja, und dem Teufel sag ich Nein. Es kommt darauf an, glaube ich.“
„Völlig richtig“, bestätigte die Kröte. „Man muss vergeben können, und trotzdem ist es falsch, die andere Wange hinzuhalten.“
Der kleine Bär war empört. „Aber in der Bibel steht doch…“
„… dass man einen, der dir das linke Auge aussticht, auch das rechte Auge ausstechen lassen soll? Dass man einem, der dein Kind tötet, auch die anderen Kinder opfern muss?“ Die Kröte war ein wenig ungehalten geworden. „Nein, nein. Das lässt man weg, sonst würde jeder sofort sehen, was das für ein Blödsinn ist. Die Bibel ist auch nur ein Buch der Bären, weißt du?
„Vieles darin ist richtig, manches ist falsch. Und zum allergrößten Teil ist sie ohnehin nur Geschichtsschreibung und der Versuch, hinter den Wechselfällen des Lebens Gottes ordnende Hand zu finden. Das ist an sich auch gar nicht verkehrt… aber wenn man übersieht, dass es bei diesen Wechselfällen oft genug viel mehr um des Teufels störende Klaue geht, mit anderen Worten, um Faulheit – dann gerät man leicht in die Irre.“
Es war spät geworden, die Sonne tauchte hinter die Baumwipfel. Der kleine Bär gab der Kröte einen Kuss. „Ich muss heim, Mama macht sich sonst Sorgen. Vielen Dank, dass du mich getröstet hast, hoffentlich treffen wir uns bald wieder.“
Am nächsten Tag packte der kleine Bär eine Tafel Schokolade ein. Er würde sich bei dem Chef der Rowdys entschuldigen. Und dann zum Sportlehrer gehen und sich endlich für den Judo-Kurs einschreiben.